Erlebnisse eines Patienten


Besuch beim Chiropraktor - oder:
der Schmerz und seine Ursache liegen oft meilenweit auseinander

Seit Tagen plagen mich Beschwerden in beiden Knien. Nein, es sind richtige Schmerzen, die vor allem nachts auftreten, so gegen Morgen, und mir den wohlverdienten Schlummer rauben. Und überhaupt - nächste Woche will ich zum Skilaufen fahren. Die üblichen Hausmittel wie Eis und Binden und allerlei "Schmiermittel" bringen so gut wie nichts.Und joggen kann ich auch nicht mehr. Dabei hatte sich's in den letzten Wochen gar nicht so schlecht entwickelt. Da bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als mal wieder zum Orthopäden zu gehen - wie damals, vor ein paar Jahren, mit diesen frustrierenden Erfahrungen. Wie war das doch noch? Ach ja, Röntgen, und dann diese erschreckende Diagnose: "Cox-Arthrose, in beiden Kniegelenken!", mitfühlend unterlegt mit dem Hinweis: "Na ja, in Ihrem Alter ... Das ist der übliche altersgemäße Verschleiß. Und das Joggen sollten Sie Jüngeren überlassen!" Baff, da hatte ich's! Also alter Mann, bestenfalls mit dem Spazierstock einmal "um den Block gehen" . . . , oder am besten gleich "hinter dem Ofen sitzen bleiben". - Dann das Übliche: Etliche Sitzungen bzw. "Liegungen" mit Reizstrom und Ultraschall, Verschiedenes zum "Schmieren" und natürlich Schonung. Gebracht hat's wenig; aber bekanntermaßen heilt ja die Zeit alle Wunden. Und nach langer Pause, entgegen ärzlichem Rat, habe ich seinerzeit auf weichen Sohlen auch das Joggen wieder begonnen. Und nun soll das Ganze wieder von vorne beginnen? (Also das mit dem Joggen, das werde ich dem Doc nicht erzählen.)

Wie es der Zufall so will, komme ich mit einer Nachbarin ins Gespräch, die tief besorgt in meiner Leidensmiene zu forschen beginnt. Ob ich denn schon mal beim Chiropraktor gewesen sei? - Ja, ja, bei Dr. Unverzagt, der sei bekanntlich auch Chiropraktiker, und zu dem wolle ich gerade ... - Na, da hatte ich mich vielleicht als total unaufgeklärt geoutet! Kannte ich doch nicht den Unterschied zwischen einem Chiropraktiker und einem Chiropraktor. Und wortreich füllte Frau Nachbarin meine Wissenslücken auf. Die Rede war von zehnsemestrigem Studium, das es nur in den USA und in England gebe. Und von wegen Spritzen oder Pillen . . . "Ein Chiropraktor justiert Ihre Wirbelsäule neu", erläuterte sie mir eilfertig. - Was das denn nun wieder mit meinen Knien zu tun haben sollte, wagte ich einzuwerfen. Doch sie wischte das mit einer energischen Handbewegung beiseite: "Geh'n Sie mal hin, der hilft Ihnen bestimmt!" Und mit dem selbstsicheren Schritt der Wissenden stob sie davon, mich etwas verdattert stehen lassend. Ob ich? Ob ich nicht? Doch, ich probier's mal. Dänisch müsste man können. (Sind es doch zunehmend Dänen, die sich diesem Studium bzw. dieser Therapieform zuwenden . . . und an wenigen Standorten in Deutschland ausüben.) Nein, nicht nötig, mein Therapeut (Dr. Chiropraktor) spricht flüssig Deutsch, allerdings - wie könnte es anders sein - mit dänischer Stimmfärbung.

Beim ersten Schritt in das Behandlungszimmer springen mir sozusagen zwei abenteuerlich geformte, gepolsterte Bänke ins Auge, die mit ihrem komplizierten metallenem Untergestell blitzartig Gedankenverbindungen wach rufen an einen Besuch im Kriminalmuseum in Rothenburg ob der Tauber, als wir mit Grausen mittelalterliche Folterbetten betrachtet hatten. Na, das konnte ja gut werden. Und im Übrigen gilt die berühmte Redensart: "Mut zeiget auch der Mameluck, Gehorsam ist des Christen Schmuck!" (Schiller). So bin ich also innerlich gerüstet, mich auf (fast) alles einzulassen. Die Leidensgeschichte - mit eher humorigen Zwischenfragen meines Therapeuten -vorweg, muss ich zunächst den "aufrechten Gang" vorführen. Und dann bücken, nach vorn und nach hinten, natürlich auch seitlings. Oh je, was bin ich steif! Ja, damals, in fernen Kindertagen, da konnte ich bei durchgedrückten Knien mit den flachen Händen den Boden berühren, wenn ich mich nach vorne bückte. Und rücklings? Ja, da konnte ich mich in die "Brücke" zurückbiegen. Und jetzt?! Aber was hat das mit meinen Knieschmerzen zu tun? Doch, muss es wohl. Denn jetzt muss ich mich der Länge nach auf einer dieser "Folterbänke" niederlassen, und mein Chiropraktor beginnt mit allerlei Manipulationen, zerrt hier an den Beinen, dreht und wendet Unter- und Oberkörper gegeneinander in nie erlebten Figurenkombinationen. Entspannen soll ich mich dabei. Doch ich halte gegen. Brrr . . ., was macht der bloß mit mir! Und dann ist das Genick dran. Nicht erschrecken soll ich mich, sagt er vorher an, bevor er mit einer Art Karateschlag die Handkante nach unten sausen lässt, dass der Kopfteil meiner Komfortliege gleich um eine Rast nach unten schlägt. Anschließend gibt's mit einem silberfarbenen Klopf-Instrument kurze, schnelle Schläge auf die Genick-Muskulatur.
Und damit das Leiden kein Ende nimmt, findet mein Therapeut mit sicherem Griff genau die beiden Punkte in meinen Gesäßhälften, die offenbar den Schmerz für sich gepachtet haben.

Endlich darf ich aufstehen, zunächst wieder den "aufrechten Gang" vorführen. Na nu, wo sind denn die Knieschmerzen geblieben? Und den Kopf kann ich plötzlich 30° weiter drehen ... So geht das also, und so schlimm war's ja auch gar nicht, dieses Justieren. Und schlauer geworden bin ich auch: Wenn's im Knie zwackt, dann ist's noch lange nicht dasselbe. Vielmehr liegt die Ursache meist in diesem Instrument, das uns seit Evolutionszeiten den "aufrechten Gang" beschert, der Wirbelsäule.

Und noch eines - beinahe hätte ich es vergessen: Joggen darf ich auch, von wegen Schonung. Und wie war das mit der "altersgemäßen Cox-Arthrose"? Kaum der Rede wert, hat er gesagt.

Schließlich und endlich: Dank sei gesagt meiner energischen Nachbarin, die mich auf diese Fährte gebracht hat.